Der „Infektions-Index“ – ein Versuch, die SARS-CoV-2-Situation in Deutschland verständlicher darzustellen

Am 2. April stellte ich auf dieser Website meine Analyse „Coronavirus: Vergesst die Zahl der Infizierten, schaut auf die Zahl der Intensiv-Patienten! online, einen Text, in dem ich beschrieb, warum die plakative Gesamtzahl der Infizierten nicht dazu taugt, das Ziel der Nicht-Überlastung des deutschen Gesundheitssystems abzubilden. Ich wies auf das damals erst ein paar Tage alte „DIVI Intensivregister“ hin, das abbildet, wie viele COVID-19-Patienten auf deutschen Intensivstationen behandelt werden – und wie viele Betten für den Fall der Fälle frei sind. Die Krankenhäuser sind inzwischen verpflichtet, ihre Zahlen an das Intensivregister zu melden, was die Datenqualität auf ein Maximum erhöht hat.

Am 18. April zeigte ich zuletzt einen aktualisierten Stand der Situation. Dass es seitdem keine Updates gab, liegt daran, dass sich die Lage nicht im geringsten negativ entwickelt. Auch Stand heute, am 7. Mai sind pro Klinikstandort 10 Betten auf Intensivstationen frei. Die Zahl der COVID-19-Intensiv-Patienten hingegen wird kleiner. Wurden um den 12. April herum noch durchschnittlich 3,2 COVID-19-Patienten pro Klinikstandort auf Intensivstationen behandelt, waren es am 18. April noch 2,5 und seit dem 27. April nun weniger als 2. Am 7. Mai lag diese Zahl bei nur noch 1,49 Patienten pro Klinikstandort. Die Zahl der nach einer Behandlung auf Intensivstationen genesenen Patienten liegt erfreulicherweise inzwischen bei 6,22, die der auf Intensivstationen verstorbenen COVID-19-Patienten bei 2,42 pro Klinikstandort.

Das Ziel, die Intensivstationen nicht an den Rand ihrer Kapazitäten zu bringen, wurde durch die vielfältigen Maßnahmen im Kampf gegen das Virus vorerst eindrucksvoll erreicht und daran wird sich auch auf absehbare Zeit nichts mehr ändern.

Der Kampf gegen das Virus befindet sich daher nun in einer zweiten Phase. Diese Phase muss das Ziel haben, die Zahl der Infektionen auf ein Minimum zu reduzieren, damit möglichst wenige Menschen schwer erkranken oder sogar sterben. Die Gesundheitsbehörden könnten die dann geringe Zahl an täglichen Neuinfektionen im Griff haben, sie schnellstmöglich nachverfolgen, betroffene Personen in Quarantäne schicken und damit größere Ausbrüche verhindern. Über das Ziel der Herdenimmunität, für die sich 60% bis 70% der Deutschen mit dem Virus angesteckt haben müssten, wird kaum noch diskutiert, denn die Zahl der Toten würde auf dem Weg dorthin zu extreme Formen annehmen.

Um zu zeigen, wo wir uns als Gesellschaft auf dem Weg zu diesem Ziel möglichst weniger Neuinfektionen befinden, wird spätestens seit einer Pressekonferenz von Angela Merkel immer wieder die Zahl „R“ genannt. Sie soll zeigen, wie viele Personen ein Infizierter ansteckt. Liegt sie unter 1, so wird die Zahl der Infizierten automatisch Stück für Stück kleiner.

Das Problem: Kaum jemand, der sich nicht genau mit der Berechnung bzw. Schätzung dieser Zahl auseinander setzt, kapiert, was „R“ aussagt und was nicht. Dennoch wird sie in zahlreichen Medien täglich ohne Einordnung wiedergegeben. Kaum meldete das Robert-Koch-Institut Ende April, dass die Zahl von 0,8 auf 0,9 oder sogar für einen Tag wieder auf 1,0 gegangen sei, spürten einzelne Medien den Weltuntergang, sorgten für Panik. In den sozialen Netzwerken wird diese Panik dann exponenziell auch von Menschen, die es eigentlich besser wissen müssten, weiter verbreitet. Unter dem Motto: „Oh nein! Die zweite Welle kommt und Politiker reden allen Ernstes über Lockerungen!“

Seit Wochen beobachte ich quasi stündlich beim grandiosen Crowdsourcing-Projekt von Risklayer, für das zahlreiche Leute die SARS-Cov-2-Zahlen direkt von den Websites der Landkreise und Städte zusammen sammeln. Das Projekt ist daher die definitiv beste und schnellste Quelle für aktuelle Zahlen. Dort fällt mir von Woche zu Woche etwas Entscheidendes auf: Die Auffälligkeit bezieht sich auf den Wochentag der Meldungen aus den einzelnen Gesundheitsämtern bzw. Landkreisen und Städten. Im Durchschnitt aller bisherigen Wochen liegen die Meldungen der Tage Mittwoch bis Freitag signifikant über denen der anderen Tage. So wurden zum Beispiel donnerstags in den jüngsten acht Wochen 82% mehr Neuinfektionen gemeldet als montags. Und das ist Woche für Woche ähnlich. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren, ich möchte das nicht allzu ausführlich tun, aber es dürfte mit dem Weg vom Test über das Ergebnis bis zur Meldung, arbeitsfreien Wochenenden in Behörden und ähnlichem zu tun haben.

Die Tatsache, dass sich die Meldungen von Neuinfektionen so klar innerhalb einer Woche unterscheiden, lässt meiner Meinung nach bei einer mathematischen Berechnung des Trends von Neuinfektionen nur eins zu: Man muss einen Zeitraum von sieben zusammenhängen Tagen nehmen und nicht einen von drei oder vier Tagen. Denn dann hat man automatisch große Schwankungen in seiner Rechnung, abhängig davon, ob der Zeitraum gerade die Tage Mittwoch, Donnerstag und Freitag enthält oder eben nicht.

Zudem – ganz wichtig: Man sollte niemals Zahlen eines einzelnen Tages mit denen des Vortags vergleichen. Sonst kann man an jedem einzelnen Mittwoch aufschreien: Oh Nein! Die Zahlen steigen wieder!

Ich möchte an dieser Stelle eine Zahl vorstellen, die ich privat für mich seit einigen Wochen errechne und die ich nun öffentlich mache. Ich nenne sie einfach mal „Infektions-Index“. Er funktioniert gar nicht so viel anders als das ominöse „R“, wird allerdings ausschließlich mit vorhandenen Daten berechnet und nicht für die Zukunft prognostiziert, modelliert oder geschätzt. Und: Er bezieht sich auf Zeiträume von sieben Tagen.

Was ich nun mache, ist folgendes: Ich berechne täglich die Zahl von offiziell gemeldeten Neuinfektionen innerhalb der jüngsten sieben Tage und vergleiche sie mit der Zahl der offiziell gemeldeten Neuinfektionen der davor liegenden sieben Tage. Am 30. April also vergleiche ich die Zahl der Neuinfektionen des Zeitraums vom 24. bis 30. April mit der des Zeitraums von 17. bis 23. April. Das Ergebnis ist dann eine Prozentzahl, die zeigt, wie sich die Neuinfektionen zwischen diesen beiden 7-Tages-Zeiträumen entwickelt haben. Am 30. April lag sie bei 66%. Sprich: Die 9.841 Neuinfektionen vom 24. bis 30. April waren nur noch 66% der 14.967 Neuinfektionen vom 17. bis 23. April. Der „Infektions-Index“ lag also am 30. April bei 66. Würde er bei 100 liegen, wäre die Zahl der Neuinfektionen in beiden 7-Tages-Zeiträumen identisch, läge sie über 100, so gäbe es einen Anstieg bei den Neuinfektionen.

Das, was mir und der gesamten Gesellschaft Mut machen sollte: Der „Infektions-Index“ lag nicht nur am 30. April klar unter 100, er liegt schon seit dem 8. April ununterbrochen unter 100, seit dem 11. April sogar immer unter 80. Derzeit ist keinerlei negative Tendenz in den Zahlen zu erkennen.

Was aus meinem Infektions-Index ebenfalls herauszulesen ist, ist etwas, das im Zusammenhang mit einer Grafik des Robert-Koch-Instituts, die für große Diskussionen gesorgt hatte, sehr spannend ist. Die besagte Grafik, die im „Epidemiologischen Bulletin“ 17/2020 [PDF-Link] erschienen war, zeigt eine Entwicklungskurve des RKI-„R“-Wertes, der demnach schon vor dem 23. März, dem Tag, an dem die weitreichenden Ausgangsbeschränkungen in Kraft traten, unter 1 gelegen haben soll – und danach um diese Zahl 1 herum schwankte. Die Grafik führte zu Kritik, die Maßnahmen seien ja wohl gar nicht nötig gewesen, wenn doch schon vor dem 23. März weniger als eine neue Person von einem Infizierten angesteckt worden sei, sie führten direkt auch zu schlimmsten Verschwörungstheorien.

Wenn man nun aber die tatsächlich gemessenen Zahlen meines „Infektions-Indexes“ mit dem damals geschätzten „R“-Wert vergleicht, so wird deutlich, dass die Kurven deutliche Unterschiede aufweisen. So lag mein „Infektions-Index“ am 3. April, also 12 Tage nach dem 22. März, dem Vortag der Ausgangsbeschränkungen noch bei 124, die Zahl der Neuinfektionen stieg also noch klar an. Innerhalb von zehn Tagen fiel er dann aber auf 60. Das wäre ein eindrucksvoller Beweis für die Wirkung eben dieser Ausgangsbeschränkungen. Der Infektions-Index zeigt, dass die Maßnahmen eine sehr positive Wirkung hatten.

Die Verzögerung von 12 Tagen kommt dadurch zustande, dass es von der Infektion über die ersten Symptome, das Testen und schließlich das Melden des positiven Tests an die Behörden ca. 12 Tage dauert. Die Infektion eines offiziell gemeldeten Falls in den Statistiken liegt also bereits ca. 12 Tage zurück.

Ob sich diese positive Tendenz nach den neuerlichen Lockerungen fortsetzen wird, kann ich nicht sagen. Das soll der „Infektions-Index“ auch gar nicht und genau das ist auch der wichtigste Unterschied zu „R“-Schätzungen und -Modellen. Welche Auswirkungen beispielsweise die Geschäftsöffnungen seit dem 20. April auf die Zahl der Neuinfektionen haben, zeigt sich im „Infektions-Index“ erst allmählich seit dem 4. Mai. Bis einschließlich der Zahlen vom 6. Mai ist hier noch kein negativer Effekt zu erkennen.

Was mich schon vorher nicht so pessimistisch wie manch anderen gemacht hatte: Der viel diskutierte Oster-Effekt – dort würden die Infektionszahlen sicher deutlich ansteigen, weil die Leute doch ihre Verwandtschaft besuchen und viel unterwegs sind – ist fast komplett ausgeblieben. Es lässt sich ein leichtes Ansteigen des „Infektions-Index“ vom 22. bis 25. April (also zehn bis 13 Tage nach Ostern) auf zwischenzeitlich 76 erkennen, doch danach ging es sofort wieder auf mittlerweile 62 herab.

Das soll im Umkehrschluss aber eben nicht heißen, dass es automatisch so bleiben muss. Wenn tatsächlich mehr Menschen leichtsinnig würden, sich nicht mehr an die Hygiene-, Abstands-, und Maskenregelungen halten, ist die Chance hoch, dass die Zahl der Neuinfektionen wieder ansteigt.

Hier nun der Blick auf die Entwicklung des „Infektions-Indexes“ seit dem 15. März:

… und als Alternative die gleiche Kurve mit einer verschobenen Datums-Achse – um 12 Tage zurück auf das geschätzte Datum der tatsächlichen Infektion:

Ich werde den Infektions-Index als pure Zahl täglich links oben auf dieser Website aktualisieren und bei Bedarf auch Erläuterungen in Form von Analysen veröffentlichen.

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